Tanzinspiration

Zu viel Gedanken bringt alles ins Wanken –
was uns Eulen beim Tanzen vermitteln können

In dieser früheren Zeit gab es ein Wissen, das inzwischen tief verborgen ist – ein Wissen von der
Bestimmung der Schöpfung, von der Schönheit, ihrem Wunder. Und dieses Wissen wurde unaufhörlich lebendig und sprach zu den Menschen mit den unzähligen Stimmen der sie umgebenden Welt, sprach in den Bächen, den Stürmen, den Rufen der Vögel und der Wildtiere in der ersten Sprache des Lebens.


Llewellyn Vaughan-Lee, Handbuch für Überlebenskünstler S. 34


Seit ich weniger arbeite, ist ein neuer Aspekt in meine Tanzarbeit getreten. Hierüber möchte ich erzählen. Schon immer waren Tiere oder andere Lebewesen eine wichtige Inspirationsquelle und ein Zugang zum Lebendig-Sein in meiner Art, Tanz zu vermitteln. Nicht umsonst heißt meine Arbeit „Die tanzende Wildsau.“. Auch Tönen und Tierlaute gehören neben Bewegungen schon lange zum Repertoire der Ausdrucksmittel, mit denen wir beim Tanzen unseren inneren und äußeren Raum öffnen und eine freudige Note der Ausdehnung anschlagen.

Nun kam etwas Neues hinzu: das Lauschen auf reale Tierlaute. Zur Vertiefung des Themas spielte ich zu Anfang unseres Tanztages (und auch später zwischendurch) die Tierlaute und die TänzerInnen hatten Zeit, still stehend, zu lauschen. Ich ging mit dem Abspielgerät leise durch die verstreut stehenden Tanzenden. Es wurde von einer Vertiefung der Wahrnehmung durch das Hören der Laute berichtet; der Körperraum öffnete sich leichter. So wurden auch Gefühle zugänglich, die im Alltag unter dem Deckel des Funktionieren Wollens versteckt sind.


Die Eulen kamen so aus dem gedanklichen Raum der Inspiration in den sinnlich wahrnehmbaren Tanzraum, wo die Laute hörbar wurden. Auf diese Weise konnte eine andere Beziehung der Tanzenden zu den Eulen entstehen.


Die Eulentänze waren das zweite Seminar in dieser neuen Reihe. Eulen und Käuze sind Nachtgestalten. Lautloser Flug, wilde Töne, ungewöhnliches Aussehen. Sie sehen im Dunkeln und können den Kopf ganz nach hinten drehen, hinter sich schauen. Eulen machen Jagd aus der Ruhe heraus. Auf einem Ast wartend, können sie sich lautlos fliegend auf ein Beutetier herabstürzen.
Im Bereich des Symbolischen werden Eulen mit weiblicher Weisheit verbunden. Ihre Fähigkeit, im Dunkeln zu sehen, deutet auf ein tiefes Ahnungsvermögen hin. Dieser Zugang zur unsichtbaren Welt macht sie uns nicht immer sympathisch, manchmal unheimlich.


In der Zeit vor dem Tanzseminar Im September 2022 beschäftigte ich mich intensiv mit den Eulen. Ich wollte ein gereimtes Gedicht schreiben, um den Charakter der Eule in einem Rhythmus einzufangen. Es wollte nicht klappen.
Doch dann sprudelten kurz vor Beginn des Seminars die Reime aufs Papier.


Meine Eule
ist ´ne Keule
mit ´nem weichen Federkleid.
Kommt von oben
aus der Tarnung
ohne Warnung
aber mit viel Schneid.
Packt die Beute
jetzt und heute;
meine Eule ist ´ne Säule
zwischen Oben
und dem Boden
mit viel Freud.
Ihr Gesang
der ist nicht lieblich
und nicht friedlich
er klingt kauzig
und mal maunzig.
Mal nach Lachen
und nach Wachen in der Nacht.
Aus der Ruhe geht sie Jagen,
und ohne zu fragen
stößt sie dann herab.
Ihre Weisheit kommt von Innen
ganz viel Lauschen
oft auch Rauschen
ihre Schönheit hat Humor.

Bild: Maria Körvits

Ich habe das Gedicht als eine Art „Anrufung“ mehrmals zu Beginn des Tanzseminars vorgelesen.


In der Nacht vor dem Seminar hatte ich einen Traum. Ich traf eine Frau, die ich über eine Freundin von Ferne kenne. Als ich über die Bedeutung nachsann, kam mir nur die Idee, dass ich diese Frau als herablassend empfinde. Sie ist jemand, die ich nicht mag, sogar ablehne. Eine Figur aus meinem Schatten.


In meiner morgendlichen Einstimmung mit Tanz und Meditation bei mir zu Hause wurde klar, dass ich dem Thema des Schattens Raum geben müsste, was ich nicht geplant hatte. Die Intuition rief danach.


Wir begannen den Workshop wie immer mit Schütteln, um unsern Körper und Atem wahrzunehmen und wacher zu werden. Anschließend hörten wir – wie oben schon beschrieben – : einen Waldkauz und einen weiblichen Uhu.
Zwischendurch waren wir immer wieder still. Einige empfanden die Laute als irritierend, andere als Unterstützung den Körper in seinen tieferen Schichten deutlicher zu spüren. Die folgenden kursiv gesetzten Äußerungen sind Erfahrungen von Tänzerinnen:


„Ich hatte bislang äußere Bilder von Eulen, aber keine Wesens-Bilder in mir. Die Eulen- und Käuzchenrufe haben mich erreicht – das Käuzchen eher oben, Brust-/Kopfbereich, der Uhu tief im Bauch und Becken.“


„Ich hatte bei den Uhulauten ein goldenes Leuchten in Hals und Brustbereich, es fühlte sich warm an. Beim Käuzchen sah ich spitze metallische Riesennadeln oder so ähnlich, sie bohrten sich in meine Taille, etwas abgeschrägt Richtung Boden bzw. Vulva. Dabei tat das nicht weh,
sondern es tat gut, weil es mich wach machte.“


Wir tanzten einen Kreistanz mit vielen Wiederholungen. Anschließend war die Aufgabe, die Stille der Eule auf einem Ast zu fühlen und auszudrücken mit der Musik von Arvo Pärt, Spiegel im Spiegel.


„Im anschließenden freien Tanz erlebte ich, wie der Impuls für die nächste Bewegung aus dem Nicht-Tun, dem Nicht-Wollen wie von selbst entsteht – kraftvoll und mit klarer Ausrichtung. Es fühlte sich jedes Mal überraschend neu an und ohne Anstrengung.“


Nach einem weiteren strukturierten Tanz mit Wiederholungen tanzten wir zu zweit in ZeugInnenarbeit. In diesem Setting tanzt eine Person, die andere schaut zu, fühlt ihre Resonanz zu dem Tanzgeschehen und hält den Raum für die Tanzende. Danach gibt es einen Austausch und anschließend werden die Rollen gewechselt.
Das Thema war die Eule zu tanzen und den Kopf immer wieder nach hinten zu drehen und unseren Schatten anzusehen, das was hinter uns ist und wir als Menschen nicht sehen können. Dazu gab es eine lebendige Trommelmusik von Guem Sauvage.


„Im ZeugInnentanz spürte ich eine Belebung meiner tanzenden und stampfenden Energie nach vorne während ich meinen Kopf und meinen Blick immer wieder weit nach hinten wendete, zu beiden Seiten.
Entsprechend dem weiten Radius der Eule entstand in mir das Bild eines Kreises – dass ,vorne‘ und ,hinten‘, ,helle‘ und ,dunkle‘ Gefühle, dass tätige Kraft und lauschendes Schauen zusammengehören, ein Ganzes bilden, sich gegenseitig befruchten.


Der andere mir wichtige Moment am Eulentanztag war „als ich mich beim Zurückdrehen unerwartet doll erschrak – plötzlich saß mir eine unbekannte Angst im Nacken, die mich wirklich erschauern ließ und mich zum Weinen brachte. Es half mir in dem Moment, mich auf das zu konzentrieren, was vor mir lag: um Tanz. Aber der Schatten der Angst blieb – im Nachhinein bin ich dankbar, weil mich der Blick zurück mit etwas in mir konfrontierte, was ich noch nicht einordnen kann, aber dennoch wichtig zu sein scheint. Es kommt ja aus dem Unbewussten.
Ich fühlte, dass der Schatten hinter mir meine Angst vor meiner Kraft/Macht ist. Ich fühlte dieser Tanz war speziell für mich. Im Estnischen sagen wir in die 10 hinein, auf den Punkt. Ich fühle in meinem Alltag, dass ich ihn immer im Blick habe, mich dann zusammen sammele und weitergehe.


Eine andere Frau schilderte in der Feedbackrunde ihre Unlust auf diesen Tanz und in ihrem Leben zur Zeit, die Sinnlosigkeit. Im ersten Durchgang der Musik habe sie einfach lustlose Bewegungen gemacht. Bei der Wiederholung der Musik sei im Umdrehen überraschend Neugierde zum Vorschein gekommen. Das fand sie sehr bemerkenswert. Als sie davon erzählte, veränderte sich ihr Gesicht völlig. Es war angefüllt von einem weichen Lächeln, wie von Innen beleuchtet. Ein glücklicher Moment, der zeigte, dass im Schatten auch schöne Qualitäten sein können, die wir uns nicht anzueignen wagen.


Den Schatten zu integrieren hat mit Ganzwerdung zu tun. Wenn wir den unbewussten Teil zu uns nehmen, ist er nicht mehr im Dunkeln. Die in ihm gefangene Energie fließt uns zu und wir können die Verantwortung dafür übernehmen. Das bedeutet sein Auftreten in Lebenssituationen wahrzunehmen und als zu uns gehörend zu bejahen.


Nach dem Umdrehschattentanz ging es weiter mit einem meditativen Tanz nach estnischer Musik, Wanderers Abendlied und Kung Fu für die Göttin, wo wir uns mit unseren aggressiven Anteilen zeigen und in die Begegnung mit andern Tanzenden gehen konnten. Hier konnten die Zielgerichtetheit und das direkte Jagen der Eule eine Inspiration sein.Wir endeten mit einem am Kreis orientierten Tanz mit kräftigem Aufstampfen und Verbinden von Himmel und Erde.
Die Eule, ihre Laute und Bewegungsmuster und ihr Wesen erlaubte uns einen besonders gefärbten sinnlichen Zugang zu uns selbst in dem Moment des Tanzens zu finden. Tiere sind auf eine andere, für uns noch nicht voll zu verstehende Art ganz. In ihnen ist die Ganzheit offensichtlicher in der Lebendigkeit verkörpert. Sie sind real und dem Denken in menschlicher Form nicht verhaftet. Indem wir mit den Eigenarten der Eule, ihrer sinnlichen Art zu sein – wenn auch vermittelt – in Kontakt traten, wurden uns neue Zugänge zum Lebendig-Sein geschenkt.


Das Tanzen erlaubt uns unser Tiersein zu erleben und baut eine Brücke zu anderen Lebewesen, die gebraucht wird, um unsere Gemeinsamkeit hier auf Erde zu wertschätzen und neuen Sichtweisen die Tore zu öffnen. Diese sind nicht ausschließlich gedanklich geprägt, wie wir in unserer Kultur. So konnten die Eulen tanzend zu uns und mit uns sprechen. Eine Kommunikation mit der anders-als-menschlichen Schöpfung.


Ich habe selbst in einem ähnlichen Zusammenhang erlebt, wie die tänzerische Beschäftigung mit einem Märchen über Bäume meinen Zugang zu einer Baumart verändert hat. In der Geschichte ging es um den den Wunsch einer Weide. Wenn ich Weiden jetzt in der Natur sehe, sind sie mir auf innere Weise „bekannt“ und oft grüße ich sie still oder berühre sie. Die Beziehung zu ihnen hat sich verändert, mehr Nähe und auch Kommunikation ist entstanden. Damit meine ich keine Vermenschlichung, sondern ein Treffen auf einer gleich berechtigten Ebene, ohne Worte im engeren Sinn und ohne die Andersartigkeit zu verwischen.


© Cornelia Freise